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Der Weihnachtsengel....

Es war eine schwarze, stürmische Nacht. Die Schneeflocken wirbelten aufgeregt durch die Luft und sahen  im Schein der Laterne aus wie tanzende Lichter. Der Wind heulte und klirrende Kälte zog durch die Straßen.


Und das saß dieses Mädchen. Zitternd, ohne Hoffnung, ohne Mut. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie wusste einfach nicht mehr weiter. So wie die Kälte um sie herumzog, so fühlte sich auch ihr Herz an. Sie konnte es nicht mehr spüren, es fühlte sich an wie diese glitzernden Eiszapfen, die in langen Spitzen von den Dächern hingen und sofort zerbrachen, wenn man sie berührte.


Und es war dunkel in ihr, noch viel dunkler als diese einsame Nacht, wo sich fast niemand mehr auf die Straße traute. Alle saßen in ihren warmen Stuben, lachten und tanzten. Ja, irgendwo da drin ist Weihnachten, dachte sie. Mit bunten Kugeln, geschmückten Bäumen, vielen Lichtern, lachenden Kinderherzen. Jetzt sind sie alle beisammen, überbieten sich mit Geschenken, die am Tag noch hektisch gekauft wurden. Nur um das schlechte Gewissen zu beruhigen, weil sie zu wenig gemeinsame Zeit miteinander verbracht haben.


Eigentlich ist das Fest der Liebe ein wundervolles Fest, doch wo ist diese Liebe heute noch?
Sie fühlte keine Liebe mehr hier allein, in der Kälte.


Plötzlich stand ein kleiner Junge neben ihr und fragte: „Was machst du denn hier?“


Mit zitternder Stimme sagte das Mädchen: „Das Selbe sollte ich dich fragen! Warum bist du nicht da drinnen bei all diesen Lichtern und Kerzen, dem ganzem Glanz und Glitzer, in dieser bunten, heilen Welt?“


„Warum glaubst du nur da drinnen sei die Welt in Ordnung? Vielleicht ist sie hier draußen sogar heller und freundlicher...“


Das Mädchen schluchzte betrübt: „Nein, hier ist es kalt und leer und es wäre sehr dunkel, würde diese Laterne nicht leuchten. Aber ich kenne niemanden, wo ich bleiben oder den ich um Hilfe bitten könnte. Heute ist Weihnachten, niemand würde mir die Tür öffnen. Schau nur selbst, alle laufen an mir vorbei, keiner sieht mich an. Es ist, als wäre ich gestorben.“


„Aber ich bin doch bei dir, bin ich niemand? Hast du es denn überhaupt versucht irgendwo anzuklopfen? Ich bin mir sicher, jeder würde dir die Tür öffnen. Es fehlt dir nur der Mut und das Vertrauen, stimmt's?“ wunderte sich der kleine Junge: "Warum bist du eigentlich so traurig?“


„Das ist eine lange Geschichte“ entgegnete sie. „Ich habe alles verloren was mir wichtig schien. Vor allem aber meine Würde, meine Selbstachtung. Weil ich oft enttäuscht wurde, habe ich kein Vertrauen mehr. Mein Herz ist so kalt geworden und ich weiß nicht einmal mehr, was Glück bedeutet.“

 

Mutlos blickte sie zu Boden. „Weißt du, wenn ich nachts alleine war, habe ich immer am Himmel die Sterne gezählt. So hatte ich nie das Gefühl, einsam zu sein. Aber selbst die sind nicht mehr da. Es ist so dunkel, so kalt, so wie mein Herz und die Menschen um mich herum.“


Der kleine Junge kratzte sich am Kopf: „ Warum zweifelst du nur weil es dir dunkel erscheint? Auch wenn du die Sterne gerade nicht sehen kannst, sind sie trotzdem da.  Jeder einzelne von ihnen.  Wieso verlierst du den Glauben an etwas, nur weil es für dich gerade nicht erkennbar ist, obwohl du weißt das es da ist?

Du bist ohne Hoffnung, anstatt in freudiger Erwartung zu sein. Lass einfach nur diesen Sturm vorüberziehen und dann kommen die  Sterne und dieses Leuchten des Himmels zurück. Dann funkeln und strahlen sie mit ihrer ganzen Kraft! 

So ist es auch im Leben. Es wird immer gute und weniger gute Zeiten geben.  Du sagst du fühlst dich wie gestorben, dabei lebst du doch! Dein Herz ist warm und voller Liebe, nur du spürst es gerade nicht. Es ist verdeckt von Schmerz und darum hast du dein Leuchten verloren. Nur deshalb glaubst du, niemand sieht dich. So wie die Menschen, die so an dir vorbeilaufen. Durch Sorgen, Ängste, Einsamkeit oder verlorene Träume ist es auch für sie dunkel geworden. Du kennst ihre Geschichte nicht."


Ein Gefühl welches sie eigentlich schon vergessen hatte wurde in ihr immer stärker. Sie konnte es nicht erkennen, aber es fühlte sich so besonders, so heimelig an. Ihr wurde warm.

 

Aufgeregt rief sie: „Vielleicht hast du recht! Doch ich verstehe den Sinn nicht! Warum muss es überhaupt dunkel werden, wieso können die Sterne nicht immer leuchten, durch die Wolken hindurch? Warum verlieren wir Menschen die Wärme, dieses Licht nur weil wir traurig sind? Nur damit wir nicht gesehen werden? Das ist ja noch trauriger. Wäre es anders, wäre es doch so hell und wundervoll. Niemand müsste im Dunkeln sein!"


„Das fragst du noch?“ Der Junge war erstaunt. Er hob die Hände und wirbelte herum wie die Schneeflocken um die Laterne. 

„Weil wir nur dann den Wert von etwas erkennen, wenn wir es vermissen.  Erst wenn wir die Dunkelheit kennengelernt haben, wissen wir um die Schönheit Lichts. Würde jeden Tag nur die Sonne scheinen, wäre unsere Welt eine Wüste. Deshalb brauchen wir auch den Regen. Wären wir immer nur glücklich, würde auch unsere Seele vertrocknen. Es braucht die Erfahrung wie wertvoll wir uns selber sind. 

Du fragst  nach dem Sinn? Das Leben selbst ist der Sinn! Es geht darum es mit all seinen Höhen und Tiefen zu akzeptieren. Es ist nicht nur schwarz und weiß oder gut oder schlecht. Lebe einfach mit allem was dazugehört, nimm es an wie es ist. Es ist ein großes Geschenk, hier sein zu dürfen, weißt du?“


Mit jedem Wort das er sprach, fühlte sie, wie immer mehr von diesem Leben in sie hineinströmte.


Der Junge blieb stehen: „Du bist etwas ganz Besonderes, weil du dein Herz spüren kannst. Sonst hättest du nicht bemerkt wie sehr es dir fehlt. Versuche anderen mit Liebe zu begegnen, denn im Grunde  gilt diese Liebe dir.  Sei ein Licht für jene  in deren Leben es dunkel geworden ist, dann wird es auch in dir wieder hell werden.
Schenke anderen ein Lächeln gegen die Traurigkeit, damit du selbst wieder Lachen kannst. Habe stets ein offenes Ohr für die, die verlernt haben zu sprechen. Denn dann hören sie auch dir zu.  Die Menschen, die du umarmst um ihnen Wärme zu geben, wärmen auch dich.
Und vertraue den Sternen, denn sie können dir auch den Weg zeigen.“


Sie schniefte: „Welchen Weg sollen mir den die Sterne zeigen, wenn ich nicht einmal weiß wohin und ich sie jetzt gar nicht sehen kann?“


„Wie ich schon gesagt habe. Nur weil du ihr Leuchten nicht erkennen kannst, sind sie trotzdem an ihrem Platz. Vorallem, sie sind in dir. Die Hirten hätten auch den Stall nie gefunden, wenn sie nicht ihrem Herzen gefolgt wären. Niemand wusste eigentlich das Ziel, aber trotzdem haben sie sich auf den Weg gemacht. Komm, ich begleite dich ein Stück. Hier kannst du sowieso nicht bleiben.“


Er reichte ihr die Hand. Sie stand auf. Er gab ihr seine Jacke und hing sie auf ihre Schultern. Sie stapften durch den Schnee in die dunkle Nacht hinein.


Dann fuhr er fort: „Also folge auch du deinem Herzen und geh deinen Weg. Du wirst auf das Wohin nie eine Antwort bekommen, also stell keine Fragen!

Mit jeder Begegnung, mit jeder Prüfung kommst du einer Antwort vielleicht ein Stückchen näher. Es ist ein ständiges Lernen und du wirst niemals alles wissen. Du gehst nur dir selber immer wieder einen Schritt zu.

Du wirst immer wieder vor einer Abzweigung stehen und überlegen wo es weitergeht. Dein Stern wird dir den Weg zeigen. Er ist immer für dich da. Es gibt auch keine Abkürzungen, dafür umso mehr Umwege. Vielleicht gehst du heute allein, aber schon morgen gibt es jemanden, der dich begleitet. 

An Orten wo du es nicht erwartest, zu einer Zeit die du dir nicht vorstellen kannst, wird immer wieder wer in dein Leben treten, Jemand anderer wiederum geht. Folge deinem Stern, bringe dein Leuchten, dein Licht unter die Menschen. Gib denen Hoffnung, die sich gerade in der Dunkelheit verirrt haben.“


Das Mädchen blieb stehen „Wer bist du?“


Der Junge wandte verlegen den Blick von ihr ab: „Ich bin einfach jemand der dich ein Stück des Weges begleitet. Es war Schicksal uns hier zu begegnen. Ich bin einer, der dir ein bisschen von seinem Licht geben hat um deinen Stern wieder zu finden. Vergiss nicht, auch wenn ich nicht mehr an deiner Seite bin und du mich nicht mehr sehen kannst, bin ich trotzdem bei dir.“ und er zeigte nach oben. Plötzlich war die Nacht hell und klar. Die Wolken waren verschwunden und alles leuchtete und funkelte, ein Stern heller wie der andere. 

 

Noch während sie über dieses Wunder staunte, tauchte plötzlich ein Leuchtstreifen auf, der kurz darauf schon wieder verschwand. „Eine Sternschnuppe, schau, eine Sternschnuppe! Ich darf mir etwas wünschen!“ Sie war überwältigt!

Aber als sie sich umdrehte, war dieser kleine Junge verschwunden. Sie rief nach ihm, aber er war einfach weg. Nur seine Jacke hatte sie noch.


Vielleicht hat er recht und es gibt Dinge, die sie sich nie hätte vorstellen können, dachte sie. Sie nahm all ihren Mut zusammen und so ging sie zu einem Haus das da am Wegesrand stand. Ängstlich  läutete sie an der Tür. Sollte sie nicht doch davonlaufen? "Nein, alles wird gut werden, hab Vertrauen!" sprach sie zu sich selbst. Es dauerte eine Weile, bis jemand öffnete.

 

„Menschenskind, was machst du den da draußen in der Kälte, komm doch rein, es ist Weihnachten“ sagte diese freundliche, ältere Dame. „Weißt du, ich bin allein, ich habe niemanden. Ich hab eine Sternschuppe gesehen und jetzt habe ich so gehofft, dass mein Wunsch in Erfüllung geht! Dich schickt der Himmel!“ Die Frau war außer sich vor Freude. „Ich heiße Anna, und du?“ Sie drückte sie fest an sich. „Ich habe gekocht und Kekse gebacken. Der Weihnachtsbaum ist geschmückt, komm setz dich zu mir“.

 

Da wusste das Mädchen, welches Gefühl in ihr so stark wurde. Es war „Freude“, einfach unendliche Freude! Freude am Leben zu sein, dieses Leben zu spüren,  mit allem was dazugehört.  Nur durch die Kälte die sie erlebt hatte, konnte sie diese Herzenswärme auf eine ganz besondere Art fühlen, die ihr sonst vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre. Der kleine Junge hatte recht.


Aufgeregt wollte sie von Anna wissen: „Da draußen war so ein kleiner Junge, er hat mir seine Jacke geschenkt und mich ein Stück begleitet. Eigentlich hat er mich zu deinem Haus geführt. Ich würde mich gerne bei ihm bedanken. Weißt du wo er wohnt oder wie ich ihn finden kann?“ Das Mädchen war voller Hoffnung.

 

Mit einem Lächeln antwortete die Frau: „Ich weiß wen du meinst. Er wohnt überall und nirgendwo. Trotzdem ist er da für alle die ihn brauchen. Wir nennen ihn den Weihnachtsengel. Es wird erzählt, dass er auch keine einfache Geschichte hat, aber er hat dadurch eine ganz besondere Gabe. Er spürt, wenn Menschen Hilfe brauchen, so wie du oder ich. Das zeigt seine Besonderheit, seine Menschlichkeit, vorallem sein übergroßes Herz. Er bringt so viel Licht in die Welt in dem er uns zum Leben zurückführt und wir wieder Freude und Liebe empfinden können.


Das Mädchen hätte sich trotzdem gerne erkenntlich gezeigt. „Aber was kann ich tun?“ fragte sie. „Das Einzige was du tun kannst ist, zu versuchen so wie er zu sein. Es gibt so viel Dunkelheit. Gehe auf die Menschen zu, gib ihnen deine Herzenswärme und dein Leuchten weiter. Manchmal brauchen sie einfach nur ein bißchen Hilfe um selbst wieder Licht in die Welt zu bringen. 

 

Wenn wir alle funkeln wie die Sterne am Himmel, dann ist wirklich  Weihnachten!"

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Kommentare: 2
  • #1

    Leitner Friedrich (Dienstag, 20 Dezember 2022 11:03)

    Ein wunderschönes Weihnachtsmärchen ,das zum Nachdenken ,anregt !

  • #2

    Katharina (Samstag, 24 Dezember 2022 12:21)

    Meine Güte was für eine zauberhafte Geschichte. Vielen lieben Dank fürs teilen. Mein Herz leuchtet. Frohe Weihnachten.